Mecklenburgische Zeitung (Schwerin), No. 110

Friday, 12 May 1865

Abraham Lincoln ist durch eine so schöne, so harmonisch abgeschlossene historische Persönlichkeit, wie es deren in der Weltgeschichte nicht viele gibt. Er erinnert an die größten Vorbilder des Alterthums. Durch eine wenig glänzende, aber sich überall bewährende bürgerliche Ehrenhaftigkeit, Zähigkeit, Arbeitsrüftigkeit, Klugheit, Milde und Tapferkeit hat dieser Mann das höchste Ziel im Staate den schönsten Lorbeer in der Geschichte errungen. Er hat den schwersten Krieg zum siegreichen Ende geführt; er hat die furchtbarste Revolution gedämpft und erdrückt; er hat die Größte seines Landes gerettet, die Menschheit durch die Ausrottung der Sclaverei von einer ihr brennendsten Wunden geheilt, und an Ziele seines Lebens tritt er makellos und rein wie kaum ein Anderer in der Weltgeschichte vom Schauplatze ab – er selbst das letzte, das edelste Opfer seines gewaltigen Kampfes, seines ruhmreichen Sieges. Um eine solche geschichtliche Persönlichkeit darf jedes Volk die Americaner beneiden, denn solche Persönlichkeiten sind maßgebend für die Anschauungsweise der Völker. Die Americaner hatten in Washington und Franklin bereits zwei Vorbilder, die in das Leben jedes Einzelnen von ihnen als Erziehungsbeispiel hineinragen: der Ehrenmann Abraham Lincoln ist der dritte. Der Mörder, dessen Kugel ihn in der eben betretenen Laufbahn des Sieges getroffen, welcher die Sache, die Lincoln vertheidigt, zu schädigen gedachte, hat ihr ein fleckenlose Vorbild gesichert, das von nun an für alle Jahrhunderte die Jugend America’s durch sein Beispiel in die rechten Bahn weisen, sie in dieser festhalten wird.

Und so hat der Meuchelmörder gegen seinen Willen der guten Sache einen unberechenbaren Dienst erwiesen: er hat seiner eigenen Sache zugleich den Gnadenstoß gegeben. Wer wird es nun noch wagen, für die Sclavenhalter einzutreten? Ihre besten Freunde drangen sich in die Reihen der Leibtragenden am Sarge Lincoln's. Niederlagen lassen sich ertragen, verwinden; die Schmach eines Meuchelmordes schändet für ewig die Sache, die zu ihm ihre Zuflucht nimmt. So haben auch die Briganten in Italien durch ihre Missethaten dem Papstthum und die Bourbonen in der öffentlichen Meinung mehr geschadet als Alles, was bis dahin auf ihnen lastete. Der Meuchelmord ist die offenbare Bankrotterklärung jeder Sache, die zu ihm greift. Die Sclavenhalter haben mit der Unthat des Wilkes Booth den letzten Stoß erhalten, von dem sie sich nie wieder erheben werden.

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